Klettertechnik: Präzise Treten
Die Voraussetzung für jede effiziente Kletterbewegung

Die Fußtechnik ist ein entscheidender Faktor beim Klettern und Bouldern, da sie die Kraftübertragung von den Beinen auf die Tritte ermöglicht. Wer unpräzise tritt, muss die Kraft zwangsläufig aus dem Oberkörper generieren. Präzises Treten hilft, das Körpergewicht auf die Füße zu bringen, den Schwerpunkt des Körpers zu verschieben und letztendlich die Arme und Finger zu schonen. Eine bewusste Platzierung und kontrolliertes Umsetzen der Füße erhöhen zudem die Stabilität des Körpers an der Wand und reduzieren unnötige Kraftverschwendung. Bevor wir uns anschauen, was wir unter präzisen Treten verstehen, wie wir es lernen können und welchen Benefit wir davon haben, befassen wir uns erst einmal damit, …
… woran wir eine ineffiziente Fußtechnik erkennen können:
Bevor wir Kletterer mit unpräziser Fußtechnik sehen, hören wir sie zuerst. Sie klettern oft ziemlich laut. Das liegt am unentlasteten Treten in Zusammenhang mit dem “schnellen Fuß”. Im Optimalfall stellen wir nur den freien, entlasteten Fuß hoch, auf dem kein Gewicht ist. Außerdem rutschen unpräzise Kletterer häufiger von Tritten ab, weil sie nicht genug Reibung erzeugen zwischen Tritt und Schuh. Oft ziehen sie auch einen der beiden Füße hinterher, anstatt ihn in der Vorbereitung hoch genug zu stellen, damit beide Füße bis zum Ende der Bewegung mithelfen können. Kletterer mit fußtechnischem Optimierungspotenzial setzen ihre Füße mehrmals, als ob sie den Tritt mit dem Fuß suchen würden, während ihre Augen schon beim nächsten Griff sind. Der Blick sollte immer beim Fuß bleiben, bis der Fuß steht. Wenn die Füße nicht gut gestellt werden, kann es auch passieren, dass ein oder beide Füße den Kontakt zur Wand verlieren. Auch das kann durch gute Fußarbeit vermieden werden. Grundsätzlich sollten beide Füße immer so hoch wie nötig, aber so tief wie möglich gestellt werden. Dieses Prinzip hat zur Folge, dass kleine Tritte an der richtigen Stelle oftmals besser sind, als große Tritte, die zu hoch, zu niedrig, zu weit rechts oder links sind.
Bei einer unpräzisen Fußtechnik schenken wir unseren Füßen nicht die Aufmerksamkeit, die wir ihnen für eine effiziente Kletterbewegung unbedingt geben sollten!
Was verstehen wir unter "Präzise Treten”?
Es ist immer leicht gesagt: “Tritt mal ordentlich!” oder “Hab mal deine Füße unter Kontrolle!”. Doch was meinen wir genau, wenn wir unsere Partner/innen lapidar dazu auffordern?Die Kletternden wollen wir erstens darauf hinweisen, mit der Fußspitze anzutreten. Es gibt zwar Ausnahmen wie Toe- oder Heelhooks, aber auch da kommt es darauf an, mit der idealsten Stelle des Schuhs anzutreten. Weiterhin fordern wir unsere Partner/innen dazu auf, an der geeignetsten Stelle der Wand oder des Tritts anzutreten. Während in der Halle ein halber Zentimeter den Unterschied macht, erfordert das Felsklettern noch mehr Präzision. Dort geht es um Millimeterarbeit, da die extrem kleinen Strukturen keine Abweichungen zulassen. Zuletzt wollen wir von unseren Mitkletternden, dass sie aufs erste Mal antreten. In der Praxis heißt das, dass wir den Tritt nicht mit dem Fuß suchen, sondern mit den Augen, sodass wir unseren Fuß auf Anhieb auf die exakt richtige Stelle setzen können. Das klingt fast schon profan und dennoch stellt es viele Kletterer und Kletterinnen vor eine große Herausforderung. Doch um dem präzisen Treten etwas näher zu kommen, ist vor allem eine Sache besonders wichtig:
Die richtigen Schuhe
Zuallererst ist es notwendig, enge, aber dennoch bequeme Schuhe zu tragen. Ja, das ist möglich und wer diese Kombination noch nicht gefunden hat, sollte sich weiter auf die Suche nach seinem individuell perfekten Schuh begeben. So unterschiedlich unsere Fußformen sind, so viele Modelle gibt es auf dem Markt. Auf der einen Seite muss sich niemand die ganze Klettersession mit Schmerzen plagen und auf der anderen Seite verursachen selbst zu große Schuhe manchmal Schmerzen. Der Schuh muss passen. Punkt. Denn wer Schmerzen spürt, weicht aus und möchte nicht mehr mit der Fußspitze antreten. Mit zu großen Schuhen haben manche zwar keine Schmerzen mehr, allerdings wird präzises Treten und das Erlernen aller anderen Techniken ein Ding der Unmöglichkeit. Genauso gut könnten wir Turnschuhe anziehen. Wer einmal seinen passenden Schuh gefunden hat, sollte bei diesem Modell oder wenigstens bei der gleichen Marke bleiben, denn die Füße passen sich mit der Zeit an, sodass halbwegs bequeme Schuhe irgendwann zu richtig bequemen Schuhe werden können. Und dann steht dem Erlernen der ersten und wichtigsten Klettertechnik nichts mehr im Wege:
Gute Fußarbeit ist nur mit dem richtigen Werkzeug möglich. Bei Kletterschuhen sollte niemand sparen.
Wie wir lernen präzise zu treten
Es gibt zwei Arten von Kletterern mit unpräziser Fußtechnik: Diejenigen, die es könnten, aber nicht wirklich wollen und diejenigen, die vielleicht wollen, aber nicht richtig können. In der Halle tendiere ich manchmal selbst zur ersten Gruppe. Durch das viele Klettern am Fels behaupte ich, gelernt zu haben, sehr präzise anzutreten. In der Halle hingegen werde ich etwas schludrig, da dort eine unpräzisere Fußarbeit immer noch präzise genug ist und nur selten negative Folgen für die anschließende Bewegung hat. Sofern allerdings der Wille vorhanden ist, ordentlich zu treten (im Übrigen sieht es auch wesentlich eleganter und professioneller aus), kommt es im nächsten Schritt auf das Können an. Wer über eine gut ausgebildete Augen-Fuß-Koordination verfügt, ist da klar im Vorteil: Nur weil ich weiß, mit welchem Teil des Schuhs ich an welche Stelle treten will, heißt das noch nicht, dass mir das auch auf Anhieb gelingt. Viele Kletterer mit schlechter Fußtechnik müssen erst einmal viel Zeit investieren, um ihre Füße unter absolute Kontrolle zu bringen und sie genau dahin setzen zu können, wo sie sie hinsetzen wollen. Erleichtert wird das präzise Treten durch entlastetes Treten: Wir können Füße nur präzise stellen, wenn wir sie zuvor entlasten. Wenn unser Körpergewicht auf dem Fuß lastet, den wir hochstellen wollen, erfordert das entweder viel Kraft im Oberkörper oder wir müssen den belasteten Fuß sehr schnell auf den neuen Tritt bringen, wodurch kein präzises Treten mehr möglich ist. Präzises Treten erfordert somit Geduld, die sich immer auszahlt, denn
… präzises Treten bildet die Basis jeder Kletterbewegung!
Wie wichtig präzises Treten ist, versteht man erst, wenn man sich den Rest der Kletterbewegung anschaut. Fakt ist, dass jede Kletterbewegung bei der Fußarbeit beginnt. Sie bildet das Fundament jeder weiteren Kraftentwicklung. Wenn dieses Fundament nicht solide ist, bricht der Bewegungsablauf entweder zusammen oder wird durch ein Übermaß an Kraftaufwendung im Oberkörper kompensiert. Ein Weitspringer, der seinen Anlauf vermasselt, wird nicht mehr weit springen können. Ein Kletterer, der seine Füße nicht präzise stellt, wird keine Kraftentwicklung aus den Beinen starten können. Jede Bewegung startet an den Zehenspitzen und endet an den Fingerspitzen. Mit den Füßen müssen wir entweder drücken oder ziehen oder eine Kombination aus beidem. Mit den Beinen ziehen wir unsere Hüfte an die Wand heran und/oder über einen Fuß. Dann erst kann die Hubarbeit aus den Beinen erfolgen. Die Füße bilden dabei den einzigen winzigen Kontakt zur Wand und sind damit…
Präzise Treten meint: Wo und womit wir treten, wie wir treten und letztendlich auch wie wir den Fuß aktiv einsetzen, um Kraft zu entwickeln.
… die Quelle zur größtmöglichen Kraftentwicklung
Unsere Beine haben 2-3 Mal mehr Kraft als unsere Arme. Deshalb sollten wir diese Quelle der Kraft auch bestmöglich einsetzen. Das gelingt uns nur durch präzises Treten und den anschließenden aktiven Beineinsatz. Ob Kraft in den Beinen generiert wird, erkennen wir an zwei Teilbewegungen: Erstens an der Auf- oder Abwärtsbewegung der Ferse: Beim Drücken geht die Ferse nach unten und beim Ziehen geht die Ferse nach oben. Beim Heelhooken hingegen geht die Fußspitze nach unten. Zweitens an der Hüftbewegung: Verläuft die Hüfte beim Zug geradlinig nach oben, kommt die meiste Kraft aus dem Oberkörper. Verläuft die Hüftbewegung in einer Kurve (erst horizontal richtung Wand und Fuß, dann vertikal richtung Zielgriff) wird die Kraft zum größeren Teil aus den Beinen generiert. Wer also vom präzisen Treten profitieren will, muss sich früher oder später auch mit der Hüftauslösung beschäftigen. Einer sauberen Fußtechnik folgt idealerweise eine sehr komplexe Bewegung (mehr dazu), viel komplexer, als wenn man die Kraft allein aus dem Oberkörper generiert. Deshalb…
… kann man präzises Treten nie genug üben!
“Präzise Treten” sind nur zwei Worte. Dahinter versteckt sich aber nicht nur ein unerwartet langer Artikel, sondern auch ein enormes Optimierungs- sowie Kraftpotential. Wer seinen Füßen die nötige Aufmerksamkeit schenkt, gewinnt eine bisher ungenutzte Kraftquelle, durch die jeder Kletterer und jede Kletterin ganz neue Höhen erreicht!
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