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Zwischen den Ringen

Aktualisiert: 30. Juni

Die besondere Challenge beim Klettern in der Pfalz


Fränkischer Gräfix, Moschendorfer Wand, Fränkische Schweiz, Heelhook
Studentenweg 8-, Jungturm, Pfalz

Alles ein Frage des Commitments

Im Sommer geht es beim Klettern in der Pfalz selten darum, schwere Grade zu klettern und persönliche Bestleistungen zu erbringen. Der Sandstein verlangt etwas ganz anderes als meine favorisierte Kombination aus physischer Anstrengung und technischer Perfektion; nämlich: volle Konzentration, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten – und ein hohes Maß an Commitment. Kraft allein bringt dich hier wirklich nicht weiter. Anstatt an den Griffen zu reißen, schaust du dir die Tritte lieber zwei Mal an, setzt deinen Fuß dreimal auf den kleinen Kiesel, schaust vier mal nach unten und atmest fünf Mal tief ein und aus, bis du deine Gedanken endlich unter Kontrolle hast, Vertrauen aufgebaut hast und du ganz langsam beginnen kannst dein Gewicht zu verlagern und dich Stück für Stück nach oben zu schieben – denn alles, was du NICHT willst ist stürzen!


Unabdingbarer Vertrauensaufbau

Die wenigen Haken, die man findet, sind oftmals nicht nur schlecht platziert, sondern zudem nicht selten angerostet. Sobald du schon einen Haken unter dir gelassen hast und der nächste noch drei Meter entfernt ist, bleibt dir nur eins: ruhig bleiben und Vertrauen in dich selbst und deine/n Sicherungspartner/in zu haben. Doch das ist leichter gesagt als getan.


Chancenlosigkeit ohne Kreativität

In den letzten vier Besuchen der Pfalz stand ich mehr als einmal wie versteinert da – unfähig, mich zu bewegen während es weder vor noch zurück ging. Gefangen in einer Position, die sich endlos anfühlte. Die Gedanken kreisen, der Atem stockt, der Fokus verengt sich. Und das Schlimme ist: Je ernster die Lage wird, desto mehr blockiert uns die Angst – und legt unsere Kreativität lahm, die wir allerdings unbedingt für die Lösung brauchen.


Das Gegenteil von Plaisirkletterei

Es ist genau diese geistige Flexibilität, die wir brauchen, um schwierige Schlüsselstellen zu lösen. Wenn reine Muskelkraft nicht reicht, sind es oft die ungewöhnlichen Lösungen, die uns nach oben führen. Es sind die Daumenklemmer, Überkopf-Mantels, Toehooks und delikaten Aufsteher, die volle Konzentration auf das ‘Jetzt’ erfordern. Bei dieser mentalen Performance ist eigentlich kein Platz für das ‘Was wäre, wenn…’-Szenario. Und trotzdem erwische ich mich immer wieder dabei, wie meine Gedanken abschweifen und in Selbstzweifel enden. “Das ist doch nur ne 7”, die ich in anderen Gebieten rückwärts klettern könnte. Doch so bequem sind die klassischen Linien der Pfalz keineswegs. Sie gehören alles andere als zu den konsumfreundlichen Plaisirklettereien. Hier gibt es Schlaghaken, die zerblättern, wenn man sie nur anschaut, Ringe, durch die sich das Seil leicht aus den Exen ausklippt und das ein oder andere Mal wird sogar am Umlenker gespart, so wie im “Neuen Dachweg” am Buchholzfels. Nach dem wirklich grandiosen 5-Meter Dachriss ist der krönende Abschluss garantiert. 


Verabschiedung vom Onsighten

Das war die Route, in der ich mich in der Pfalz schlussendlich vom Onsight-Gedanken gelöst habe. Der Grad spielt wirklich keine Rolle, sondern einzig und allein die vorhandene Absicherung und die Möglichkeiten für mobile Sicherungen. Egal wie niedrig der Grad meiner Aufwärmroute auch war, ich hatte mein erstes Projekt des Tages gefunden und das obwohl ich mich weit unterhalb meines gewöhnlichen Aufwärmniveaus befand. Die träumerisch idyllische Landschaft trügt: So sanft die Hügel auch sind, so weich der Sandstein dort ist, die Routen mit ihren buchstäblich atemberaubenden Absicherungen wie auch mit ihren vollkommen unterbewerteten Graden sind bretthart. Und als ob das noch nicht reicht, stellen einen die Routen vor schier unlösbare Aufgaben, wenn man eher zu den kleineren Kletterern oder Kletterinnen zählt. Und mit klein meine ich so ungefähr kleiner gleich 1,80 Meter. 


Fehlende Routeneinträge

Aufgrund dieses absolut konsumunfreundlichen Terrains, trauen sich wahrscheinlich nur die Kühnsten unter uns in die Pfalz. Man trifft dort nicht viele Kletternde und wenn sich doch mal Sportkletterer/innen dorthin verirren, belagern zwei Seilschaften dieselbe Route; natürlich diejenige mit den meisten Ringen. Während sich in diesen wenigen Routen das Chalk festsetzt, gewinnen alle anderen Routen von Jahr zu Jahr an abenteuerlichen Charaktereigenschaften, da die Griffe mit der Zeit immer sandiger und moosiger werden. Der abenteuerliche Charakter ist sicherlich ein wesentlicher Faktor, warum die Pfalz bei der Anzahl an Begehungen im Vergleich zu anderen Klettergebieten weit zurück liegt. In der Pfalz wurde jede Route im Schnitt nur zehn Mal begangen, im ähnlich großen Gebiet Siurana 35 Mal und im Frankenjura sogar 37 Mal. *


Echte Extravaganz

So hart bewertet, boulderlastig, ausgesetzt und beängstigend die Routen auch sind, bieten sie auf der anderen Seite echte Extravaganz mit einzigartigen Wandstrukturen, die eine wahnsinnig hohe Bewegungsvielfalt erfordern. An heißen Tagen wie diesen sollten wir die Zahlen kurz mal vergessen und uns stattdessen auf die Suche nach den schönsten Linien mit tollen Bewegungen in beeindruckenden Felsformen begeben. Die wahre Challenge liegt darin, Routen zu finden, die uns zwar mental fordern dürfen, aber auf keinen Fall überfordern sollten, damit wir die Stunden am Fels mit Freunden auch genießen können. Denn diese sind genauso wertvoll wie die Erfahrung der emotionalen Achterbahnfahrten zwischen intensiver Angst, tiefer Erleichterung, echtem Stolz und am Ende hoffentlich purer Freude. 


Die Reibung mag in der Hitze schwinden – aber das Leben gewinnt an Intensität!


*Quelle: 8a.nu


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